Bergwacht-Anwärter aus ganz Bayern müssen beweisen, dass sie wissen, was zu tun ist, wenn in einer steilen Felswand ihre Hilfe benötigt wird. Die Sommerprüfungen finden im Gelände unterhalb der Alpspitze statt. Fünf Anwärter der Bergwacht München haben sich dort auf die wichtige Prüfung vorbereitet.
Garmisch-Partenkirchen — „Zehn Minuten, ab jetzt!“ Ausbilderin Inna Treise stoppt ihre Handyuhr. Während die Anwärter konzentriert die Felsstruktur nach Rissen und Löchern absuchen, erklärt sie, was von ihnen bei diesem Teil der Prüfung gefordert wird: „Sie müssen innerhalb von zehn Minuten mit mobilen Sicherungsmitteln einen Stand bauen, der zuverlässig ist.“ Das bedeutet, dass sie ihre eigenen Utensilien so am Fels anbringen und miteinander verbinden müssen, dass eine feste Verankerung zur Felswand entsteht. Ohne vorhandene Haken zu nutzen.
Die gebräuchlichsten mobilen Sicherungsmittel sind Textilschlingen, die man über Felsköpfel legt oder durch ein Loch um „Sanduhren“ fädelt, Metallkeile, die in Rissen verklemmt werden und Friends – Geräte, die sich in parallelen Rissen verspreizen. Man braucht viel Übung und Erfahrung, um diese Sicherungen so zu legen, dass sie auch im Ernstfall halten: wenn ein Seilschaftspartner stürzt und große Kräfte wirken. Als die zehn Minuten vorbei sind, sammeln sich alle um einen Stand und diskutieren, was verbessert werden könnte. „Der Winkel zwischen den beiden oberen Punkten passt nicht, des haut ned hin!“, fällt einem Anwärter auf.
Vertrauen ist im Ernstfall wichtig
Um bis zu diesem Punkt zu kommen, kurz vor der Prüfung, müssen die Bergwacht-Anwärter eine umfangreiche Ausbildung absolvieren. Im Schnitt brauchen sie etwa zwei bis drei Jahre. Neben den technischen und bergsteigerischen Inhalten nimmt der medizinische Teil einen hohen Stellenwert ein. Zusätzlich zur Erste-Hilfe-Ausbildung leisten die Münchner Anwärter 80 Lehrstunden in der Notfallmedizin ab. Viele Wochenenden und Urlaubstage bringen sie während der Ausbildungsjahre ein, später natürlich auch.
Die fünf Anwärter sind eine bunt gemischte Truppe: ein Medizinstudent, ein Gastronom, eine Informatikerin, ein Ingenieur, ein Arzt. Sie alle verbindet die Leidenschaft zum Berg und ihr Engagement. Sie kennen sich seit Jahren und haben zahlreiche Ausbildungen miteinander besucht. Viele Bergwachtler treffen sich auch privat, in der Kletterhalle, für Bergtouren oder einfach auf ein Bier. Im Einsatz hilft es, sich gut zu kennen. Das stärkt das Vertrauen. Kameradschaft ist wichtig – am Berg, wie in der Stadt.
„Stoderer“ am Berg im Einsatz
Wenn man an die Bergwacht denkt, dann wohl nicht als erstes an die Bergwacht München. Man denkt an die einheimischen Bereitschaften wie Grainau, Garmisch-Partenkirchen oder Mittenwald. Vielen ist gar nicht bewusst, dass auch Menschen, die in der Stadt leben, Notgeratene am Berg retten.
In der Nähe der Alpspitze, wenige Hundert Meter oberhalb der Hochalm, haben die Münchner Bergwachtler eine kleine Diensthütte, die sie an den Wochenenden besetzen. Im Sommer ist es ihre Aufgabe, die zuständigen Bereitschaften Garmisch-Partenkirchen und Grainau von dort aus zu unterstützen, wenn es zu Fuß schneller geht oder die Bodenrettung die einzige Möglichkeit ist. Dann, wenn der Hubschrauber nicht fliegen kann.
Während die einheimischen Bereitschaften überwiegend vom Tal aus agieren, halten die Münchner Stellung am Berg. Da oben ist die Zeit stehen geblieben, denn so sah der Bergwacht-Dienst lange vor der Flugrettung und den vielen Bergbahnen aus. Ein guter Schweinsbraten durfte damals sicher auch nicht fehlen. Gemeinsam Holz machen, sich gemütlich einrichten. „Für uns ist das Luxus“, erklärt Notarzt Markus Wunderlich, „am Wochenende hier oben am Berg zu sein, in unserer eigenen urigen Hütte.“ Ein Luxus, den sich die Männer und Frauen von der Bergwacht verdient haben.
Professionelle Bergrettung auf ehrenamtlicher Basis
Bis auf wenige Verwaltungsposten arbeitet die gesamte Bergwacht, einschließlich der Notärzte und Bereitschaftsleiter, ehrenamtlich. Auch das ist vielen nicht bewusst. Die Ehrenamtlichen investieren nicht nur ihre Zeit, sondern auch ihr persönliches Material. Im Winter zum Beispiel sind sie mit ihrer eigenen Skiausrüstung im Dienst unterwegs. Muss es beim Einsatz schnell gehen, dann schrubbern die Bergretter mit den Skiern über Stock und Stein. Niemand ersetzt ihnen den Verschleiß.
Und dankt es ihnen wenigstens jemand? „Die meisten Geretteten sind dankbar, aber es gibt auch Menschen, die die Rettung als selbstverständlich sehen, quasi als Serviceleistung. Es ist heute einfach, zum Handy zu greifen und die Bergwacht zu rufen“, berichtet Martl Herzig. Er ist seit 18 Jahren bei der Münchner Bergwacht dabei.
Er betont aber auch: „Wenn man in Not ist oder sich nicht sicher ist, ob man weitergehen soll, dann ist es das einzig Richtige, uns zu rufen. Nicht, dass am Ende etwas Schlimmeres passiert. Wir erlauben uns kein Urteil. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir retten einfach.“
Veröffentlicht in: Kreisbote, 16.09.2020